Vier Beaufort – Wind hebt Staub und loses Papier…

Weiden

Unter dem Weihnachtsbaum lag für mich ein Buch. Die Sprache des Windes – Francis Beaufort und seine Definitionen einer Naturgewalt von Scott Huler. Erschienen im mare Verlag.

Es ist ein verrücktes Buch. Nicht, weil die Geschichte wirr, wahnsinnig oder abstrus ist, nein, weil sich ein Autor auf den Weg gemacht hat, der Beaufortschen Windstärkeskala auf den Grund zu gehen. Anfangs dachte ich: Hey, die ist doch bekannt, was will man darüber schreiben? Aber dann ist dieses Buch bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen, weil es mich gleich in mehrfacher Weise anspricht. Und überrascht. Zunächst der Beweggrund des Autors, dieses Buch zu schreiben. Er arbeitete in einem Verlag, als er der Skala begegnete. Er sollte einen Tag damit verbringen, über Computer zu schreiben, als er auf sie traf. Der Tag zog dahin, die Computertexte blieben ungeschrieben. Ich konnte beim Lesen so gut nachempfinden…

Ja, und dann das, was ihn so bewegt hat. Die Schönheit und Klarheit der Sprache, mit der die Skala den Wind beschreibt. Poetisch. Ein Beispiel? Fangen wir vorne an. Windstärke Null, die Beaufort als Stille definiert und unter Auswirkungen des Windes im Binnenland wie folgt skizziert: Windstille, Rauch steigt gerade empor. Punkt, möchte ich sagen. Mehr gibt es nicht zu sagen. Mit 110 Wörtern kommt die Skala aus, um letztlich 13 Windstärken inklusive der Null zu charakterisieren. Trefflich.

Es braucht nicht viel, um die Dramatik bis zum Orkan anwachsen zu lassen. Windstärke 2, leichte Brise, Wind am Gesicht fühlbar, Blätter säuseln, Windfahne bewegt sich. Das Wetter zu beobachten, ist schön. Neben meinem Bett hängt ein Barometer, das mir erzählt, was ich an Wetter vor meinem Fenster in etwa zu erwarten habe. Tiefdruck. Hochdruck. Langsame Veränderungen, plötzliche Veränderungen. Heute stand ich am Fenster in der Küche, als plötzlich Sturmböen Regen durch den Garten peitschten. Vielleicht kurzzeitig Windstärke 5, kleine Laubbäume beginnen zu schwanken, auf Seen bilden sich Schaumköpfe.

Das Lustige ist, eigentlich habe ich dieses Skala im Kopf. Als Windsurfer sucht man permanent nach den beschriebenen Zeichen und Erscheinungen. Stehe ich am Meer, schaue ich, ob es möglich wäre rauszurufen. Dazu muss man wissen, woher der Wind kommt und wie stark er weht, damit man mit dem richtigen Segel rausgeht. Zu groß kann fatal sein, zu klein langweilig. Fängt das Meer an, Schaumkronen zu werfen, die vom Wind kommen (es gibt auch andere, wenn die Wellen aus der Ferne heranrauschen…), dann wird es interessant. Da kann man anfangen, aufzuriggen. Du stehst am Strand, schaust nach Fahnen, nach Markisen, nach Ästen. Bewegen sie sich nur leicht im Wind? Flattern Sie? Oder du lässt Sand durch die Hand rieseln und schaust, wie weit er getragen wird.

Einmal, in Holland am Ijsselmeer hatten wir Windstärke 7 und am nächsten Tag Windstärke 10 – da ist dann Feierabend. Da ist der Wind so stark, dass er dich umwirft. Windstärke 10, schwerer Sturm, Bäume werden entwurzelt, bedeutende Schäden an Häusern. Herrje.

Viele Surfer haben einen Windmesser, der ihnen genau sagt, mit wie viel Beaufort der Wind bläst. Ich habe keinen und mir über die Einheit nie Gedanken gemacht. Habe das einfach so hingenommen wie Volt, Watt, PS. Scott Huler hat das nicht getan. Nein, er hat ein wunderbares Buch geschrieben. Er hat sich auf den Weg gemacht, ist gereist, hat Orte besucht, an denen Beaufort war, hat in Bibliotheken geforscht, mit Wissenschaftlern gesprochen und seinen Weg der Erkenntnis skizziert.

Wie er so schreibt, spürt man seine Freude, sich Stück für Stück genähert zu haben. Wie er Licht in eine Ecke gezaubert hat, in die ich normalerweise nie geschaut hätte. In Zukunft werde ich den Wind mit anderen Augen sehen und sicherlich das eine oder andere Sprachbild auf den Lippen haben. Windstärke 6, starker Wind, starke Äste in Bewegung, Pfeifen von Drahtleitungen. Wenn die Drahtleitungen pfeifen, ist es auf dem Wasser am schönsten. Happy Hour. Dann singen nicht nur die Drahtleitungen, dann pfeift es auch am Mast und das hochspritzende Wasser wird vom Wind weggetragen.

Die Skala und die beschreibenden Sätze stammen übrigens nicht allein von Francis Beaufort, wie Huler schreibt. Es gab Vorgänger, die Vorarbeit geleistet haben und die Beschreibungen im Detail sind erst später, nach Beauforts Tod, entstanden. Aus welcher Feder sie stammen, ist noch nicht raus. So weit bin ich noch nicht. Dieses Buch lese ich mit der Geschwindigkeit der Windstärke 1: 0,3-1,5 m/s. Das passt übrigens zu einem Trend, von dem ich heute in anderem Zusammenhang gelesen habe. Stille Revolution. Die erstarkende Kraft des Leisen, Unaufdringlichen. Auch das hat mich bewegt. Stille Revolution. Windstärke 0, Windstille, Rauch steigt gerade empor. Wie friedlich angenehm. Das genaue Gegenteil der Windstärken ab 12, Orkan, schwere Verwüstungen. Der Wind, der Wind… Wem hat er was erzählt?

So werde ich noch einige Abende mit dem Wind verbringen. Ein schönes Vergnügen.

zwei bäume

8 Antworten auf „Vier Beaufort – Wind hebt Staub und loses Papier…“

  1. Hallo Jens,

    eine poetische Annäherung an den Wind. Scheint ein sehr schönes Buch zu sein! Da hat jemand ein glückliches Händchen gehabt! Meine Kids haben in der Grundschule im Fach Sachkunde das Thema Wetter und die Windstärke durchgenommen. Da damit eine Projektarbeit verbunden war, war es für mich schön, auch von ihnen etwas zu lernen.

    LG und schönes Wochenende
    Annegret

    1. Liebe Annegret,

      es ist ein sehr schönes Buch. Voller Wissen. Da hat sich jemand viel Mühe gegeben und hatte gleichzeitig viel Spaß, all das herauszufinden. Gerade beschreibt er die Entwicklung der Wissenschaft im 18. und 19. Jahrhundert. Wer was herausgefunden hat und was die Basis für weitere Erkenntnis war. Sehr leicht geschrieben, auf den Punkt, keine Arabesken – nicht von ungefähr gefällt ihm die Klarheit der Beaufort-Skala. da steht einer für etwas. Wind und Wetter – unser täglich Brot.Eben haben wir bei Regen und 10 Grad Fußball gespielt. Woher kommt das Wetter gerade? Ich denke, Westwind. Vielleicht ein wenig Süd dabei. Ich habe nicht geschaut, aber freue mich über das warme Nass. Keinen Schnee in diesem Jahr, bitte.

      Liebe Grüße

      Jens

      1. Hallo Jens,
        mir gefällt das warme Wetter nicht. Zu einem Winter gehört Kälte. Das jetzige Wetter ist wirklich verrückt. Tiefsttemperaturen und Schnee in Amerika, frühlingshaft in Deutschland, Hitze in Australien.

        LG
        Annegret

        1. Liebe Annegret,

          für mich ist es so recht. Muss ich im Winter mal nicht frieren und dauernd Eis kratzen und überlegen, wie ich wo hinkomme. Das ist schon sehr praktisch.

          Viele, viele Grüße

          Jens

  2. Zuerst, ein frohes u gesundes neues Jahr, Dir u den Deinen.
    Dein blog hat mich in angenehm, nachdenkliche Stimmung gebracht. Ein schönes nachdenkliches Gefühl, mit schönen Bildern vorm inneren Auge. Danke
    Liebe Grüße
    Ursel

    1. Liebe Ursel,

      das wünsche ich dir und deinen Lieben auch!

      Es freut mich, dass der Blog das kann. Er ist in den letzten Monaten ein wenig hart und forsch im Ton geworden. Die Zeit fehlt, die Ruhe. Jobs, Projekte, die fordern. Da bleibt leider wenig für die leisen Töne. Das Feinjustieren fällt schwer. Ich habe mich gefreut, dass es in der Ruhe der freien Zeit ein wenig zurückgekehrt ist.

      Gerne geschehen!

      Liebe Grüße

      Jens

  3. Hallo Jens,

    eigentlich. Eigentlich ist heute der Tag, an dem ich endlich für den Brotberuf arbeiten muss. Müsste. Schau ich mal schnell noch auf Jens‘ Blog. Dachte ich, nur lesen, ein bisschen, als ‚Vorbelohnung‘; denn drinnen bin ich jetzt im Kreativen und kann mich so so schwer lösen. Muss aber. Ab Dienstag geht’s wieder los – volle, dicke…

    Auch ich bin bei der „Stillen Revolution“ hängen geblieben. Die erstarkende Kraft des Leisen, Unaufdringlichen – diese schönen Worte… Ich freu‘ mich, dass sie dich berühren, wie du schreibst. So hat dein Blog angefangen – jetzt hat er ein andere Dynamik. Aber manchmal kommt es wieder, blitzt durch: in einem Foto, ein paar Zeilen, einer Lyrik…

    Ich werde recherchieren, was es mit der „Stillen Revolution“ auf sich hat. Und dann lesen – bei Windstärke null, (einer guten Leseleuchte) – den restlichen Raum erhellen ein paar Kerzen…

    Liebe Grüße
    filo

    1. Liebe filo,

      vielen Dank für deine netten Zeilen. Ich weiß, der Blog hat sich verändert. Ich trauere dem auch nach. Mir fehlt der Raum für die ruhigen Gedanken. Leider bekommt man für die kein Auskommen. In dem Buch über Beaufort steht, dass sich die Wissenschaft im 17. und 18. Jahrhundert nur die gut betuchten Menschen erlauben konnten. Ähnlich ist es heute mit den Gedanken. Im Arbeitsrhythmus lösen sie sich auf.

      Diese Momente, in denen es plötzlich da ist, sind rar geworden. So ist es. Ich habe mich entschieden, einen anderen Weg zu gehen. Das macht was mit mir. Klar.

      Die ‚Stille Revolution‘ habe ich in einem Farbkompendium gefunden. Dort ging es um die Farbwelten 2014. Designer, Architekten, Modeschöpfer versuchen, Tendenzen aufzuzeigen – zu beschreiben, was dazu führt, das bestimmte Farben ein Jahr beschreiben. Sehr spannend. Diese Menschen aus aller Welt treffen sich in den Niederlanden und bringen ihre Erfahrungen mit, die über das ‚Moderne‘ hinausgehen. Da wäre ich gerne dabei, um mit zu formulieren.

      Ich wünsche dir ein gutes Lösen und viel Spaß bei dem, was jetzt kommt. Wie heißt es: Alles hat seine Zeit…

      Liebe Grüße

      Jens

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