Gespräch mit einem Löwen und einem Berg an der Ruhr

An diesem Wochenende haben Viveka und ich, immer, wenn wir Zeit hatten, an der Ruhr gesessen. In Mülheim an der Ruhr, in Essen-Werden und heute in Bochum. Also zwischen Essen und Bochum nicht weit von Burgallendorf. Hat sich so ergeben.

Wir haben vor einer Pontonbrücke geparkt, die gesperrt war. Keine Autos. Wir standen auf der Brücke und schauten aufs Wasser, als wir plötzliche „Danke“ hörten. Ein Herr mit Dame, dem wir auf der Brücke, die gesperrt ist für Verkehr, zu viel Platz einnahmen. Graue Haare, Funktionsweste, drei Schritt vor seiner Frau. Kein Blick, nur eine verbale Anmerkung. Konnotation: „Warum steht ihr Pisser mir im Weg?“

Ups. Ihr kennt das. Das Innere versucht zu verstehen, versteht und reagiert. Ich hatte Glück. Mein Innerstes hatte einen guten Tag und lachte. Lass ihn ziehen, lass ihn reden. Und schon wars vorbei.

Das hätte keine Bewandtnis, wenn wir nicht später anderen Menschen begegnet wären. Dem Löwen und dem Berg. Das ist jetzt eine Geschichte, wie sie auch vorkommt. Sie hat keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit und ist keine Metapher dafür, wie die Dinge sind. Einfach ein Moment.

Wir schlenderten über die Brücke und suchten den Weg über das Wasser, das durch eine Eisenbahnlinie und einen Zaun von uns getrennt war. Klar, irgendwo musste eine Brücke sein, denn es waren ja Menschen dort zu sehen, wo wir hin wollten. Über die Bahn. Runter ans Wasser. Ein wenig Geduld.

Vorne ans Wehr mit den Füßen im Wasser und dem Blick auf die Ruhr und die Gänse und all die Boote mit Paddeln und Ruder, die an uns vorbei mussten, um die Bootsrutsche vorbei am Wehr zu nutzen. Ein paar Wolken, Sonnenschein, Sommer. Kinder im Wasser, Menschen am Ufer. Schön.

Da kamen sie. Zwei junge Männer. Syrische Kurden. Von der Mauer aus, auf der wir saßen, war auf der anderen Seite der Bootsrutsche eine Insel aus Stein. Als wir kamen, dachte ich, man müsste rüberspringen und dort sitzen. Ach, weshalb das Risiko? Sie sprangen. Erst der eine, dann der andere. Und einer setzte sich ins Wasser am Wehr und ließ es an sich runterfließen. Schöne Bilder. Menschen, die genießen, die es sich schön machen.

Einer der beiden kam zurück. Ohne Sprung. Sein Freund hielt ihn, er lief durch das schnell fließende Wasser, ich gab ihm eine Hand und half ihm auf unsere Seite zu kommen. So saßen wir zu viert dort. Einer auf der anderen Seite, wir zu dritt hier.

Die Geschichte. Zwei Kurden aus dem Norden Syriens. Seit zwei Jahren hier, seit drei Jahren beste Freunde. „Ich sage immer Kollege, denn wenn ich mein Freund sage, glauben die Leute was Falsches.“ Nun. „Sag einfach: Mein bester Freund“, dann ist es klar. „Ja?“. „Ja.“

Die beiden haben viel gelacht und uns ihre Namen genannt. Zwei kurdische Namen. Einer steht für Löwe, einer für Berg. Viveka ist das Leben, Jens ist der dänische Johannes, der Täufer. Am Wasser ist es nicht schlecht für mich. Wir haben gelacht, es gab selbstgedrehte Zigaretten, wir schauten den Booten zu, die die Bootsrutsche runter sind. Ein älterer Herr im Kanu kam. Sehr konzentriert. Ein wenig Schiss, aber Haltung und aufrecht. Im Drillton zu uns: „Füße weg!!!!“ Hei. Yep. Vor Lachen sind wir fast ins Wasser gefallen. „Füße weg.“ Die beiden kannten das schon ein wenig. Dieser deutsche Ton war ihnen nicht unbekannt.

Dann haben wir über Kurdistan gesprochen. Mein Thema seit 30 Jahren. Im Studium habe ich über Kurdistan geschrieben. In Aachen habe ich in türkischen Kulturvereinen gesessen und über die Lage in Kurdistan gesprochen. Über das Verbot, kurdisch zu sprechen. Über das Foltern in den Gefängnissen von Diyarbakir. Die Gespräche würden heute ähnlich verlaufen. Es gibt wenig Fürsprache für die kurdische Sache. Im Kampf gegen den IS, ja, da konnte man die YPG- und YPJ-Kämpfer/innen gut gebrauchen. Am Boden. Im Häuserkampf. Straße für Straße.

Ich habe den Kampf verfolgt. Die Schlacht um Kobane 2014. Kobane liegt im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei. Der IS rückte vor und legte die Stadt in Schutt und Asche. Kobane ist eine Grenzstadt. Die Türkei schloss die Grenze und fuhr Panzer auf, damit niemand die Stadt verlassen konnte. Sie wollten den Sieg des IS. Zu der Zeit. Wie es aussieht, hat die Türkei 2014 den IS unterstützt. Durch das Einschleusen von Kämpfern. Es gibt Videos, auf denen IS-Kämpfer locker mit türkischen Grenzern plaudern.

Dann kam die Kavallerie. Die US-Airforce mischte sich ein und der IS musste weichen. Der Siegeszug der Kurden begann. Rojava entstand. Die Kurden kämpften den IS am Boden Stück für Stück zurück. In Syrien, im Irak. Kaum jemand sonst schickte Bodentruppen. Zu heikel. Zu verlustreich. Die kurdischen Truppen kämpften sich vor. Gingen in die vom IS eroberten Städte. Befreiten.

Nun. Sie wurden stark. Zu stark. Türkische Truppen suchen nun, die Kurden zu unterwerfen. Auf syrischem Gebiet. Aus Angst vor einem kurdischen Staat. Die, die den IS am Boden besiegt haben, sind nun Terroristen. Die Türkei bekämpft sie und die Welt schaut zu. Als man die Kurden brauchte, um den IS zu besiegen, unterstützte man sie. Nun, da der IS besiegt ist, schaut man zu, wie sie von der Türkei bombardiert werden. Krieg ist eine elendes Geschäft. KLAR. Aber was in Kurdistan (im türkischen, syrischen, irakischen Teil) stattfindet, ist unfassbar. Erst für sich kämpfen lassen, dann fallen lassen. Weil niemand ein Interesse hat an einem kurdischen Staat.

Wir saßen am Wasser und haben uns darüber unterhalten. Nun, die beiden sind froh, nun hier zu sein. In einer Demokratie. Kein syrischer Geheimdienst, kein Krieg. Ruhe an der Ruhr. Einfach nur leben. Den Tag am Wasser verbringen. Vielleicht schwimmen lernen?

Der Berg, ein junger hübscher Mann mit feinem Lächeln, hat gerade sein Monatspraktikum bei Aldi absolviert. Jetzt kann er Geld verdienen für die Familie in Damaskus. Dort hat er Geographie studiert, bis der Krieg begann. Syrien ist tot. Syrien ist ohne Hoffnung. Syrien ist in den Händen Assads, Russlands, Irans, Amerikas und einiger anderer. Israel schießt auf die Perser in Syrien, die auf wen schießen? Nun, am Ende: Alle schießen auf alles.

Vom Geographiestudium in die Aldi-Filiale. Besser ist das. Aber natürlich könnte er mehr. Ein heller Kopf. Als Agentur arbeiten wir momentan intensiv daran, Unternehmen im Recruiting zu unterstützen. Es fehlen Leute an allen Ecken und Enden. Letztes Jahr konnten in Deutschland Aufträge im Wert von 50 Milliarden Euro aufgrund von Personalmangel nicht abgearbeitet werden.

Und da sitzen die beiden am Wasser. Sehr sympathisch. Locker. Gute Leute, freundlich, zuvorkommend, gut gelaunt. Schnauzen uns nicht an mit „Danke!“ und „Füße weg!“. Kein Befehlston, genervter Unterton, frustrierter Vorwurf. Einfach nur froh, in Sicherheit zu sein in einem schönen Land, in dem man in Frieden am Wasser sitzen und rauchen kann.

Kürzlich erst habe ich auf dem Nachhauseweg zwei Kurden mit nach Olpe genommen. Sie hatten mich nach dem Weg gefragt und ich habe sie gefragt, ob ich sie mitnehmen soll. Die waren auch sehr nett. Irgendwie bin ich mit Kurdistan verbunden. Es scheint, dass sind gute Leute.

Auf jeden Fall sind sie mir mit ihrer guten Laune deutlich näher als viele dieser überaus besorgten neuen deutschen Spießer.

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