Drei Farben: Blau – Krzysztof Kieślowskis Blick auf die Freiheit

drei farben blau

1993. Das ist 22 Jahre her. Wer schaut heute noch „Drei Farben: Blau“ von Kieślowski? Binoche-Fans? Film-Studierende?

Dieses Wochenende habe ich überwiegend im Bett gelegen. Grippe. Uns hat es hier auf dem Land hart erwischt. An der Kasse der Tanke bittet die Kassiererin, Abstand zu halten. Die Wartezimmer der beiden Ärzte zum Bersten gefüllt – Warten auf den gelben Schein mit 39,5. Habe mich einfach ins Bett gelegt, dieselben Globuli wie die Kinder genommen und gehe morgen wieder arbeiten. So weit wieder fit. Viveka ist gekommen, mich zu retten. Hat sich nicht aufhalten lassen. Sie ist stark.

Wir haben uns zwei Teile der Trilogie angesehen. Erst Rot, die Brüderlichkeit. Gestern. Heute Blau, die Freiheit. Beide Teile bestes europäisches Kino. Sub-, Sub-, Sub-, Sub-, Subtext. Die Geschichte locker gehalten, das Wesentliche unausgesprochen. Was für eine Kamera.

Von Blau hatte ich die Schwimmbadszene im Kopf, sonst war fast alles weg. 1993. Da hat sich für mich die Welt anders gedreht. Mein zweites Jahr am Nationaltheater Mannheim, mein drittes Jahr mit Ela. Die Welt lag mir zu Füßen – ich muss wenig verstanden haben, anders ist die einzige Erinnerung nicht zu verstehen. Was für ein Film. Was für Zeiten. Vergangenheit.

Freiheit. Der Mensch ist zur Freiheit verdammt. Sartre. Ein Geschenk, eine Gabe, ein Glück, ein Schicksal. Das Handeln in den Händen, das eigene Leben. Die Freiheit, selbst zu bestimmen. Kieślowskis Blick auf die Freiheit tut verdammt weh. Es ist kein american dream, es ist ein polnischer Blick. Sehr fein, sehr ästhetisch, sehr realistisch. Nicht von ungefähr wendet er sich mit „Drei Farben“ Frankreich zu. Es geht auch um das realistische Kino, die Weitererzählung der wahren Geschichten, der Schicksale. Das gute alte Kino in den Farben Schwarz und Weiß. Große Namen, große Zeiten.

Die Realität verwöhnt, betört, verführt, schmerzt. In jedem Augenblick ist alles enthalten, in jeder Sekunde steckt das gesamte Spektrum. Eine tropfende Bremsleitung, ein Knall, ein neues Leben. Das führe ich auch, seit bald 3 Jahren. Es ist die Freiheit, zu leben, wie man will. Das Schwierigste, ist das. Die Freiheit in den Griff zu bekommen, ihr gerecht zu werden, sie anzunehmen, sie überhaupt wahrzunehmen. So schnell gesagt, das Wort. Wenn man sie hat, kann sie einen zerreißen, wenn nicht, dann auch. Sie hat eine große Kraft, macht überglücklich und tieftraurig.

Kieślowski hat mich gestern und heute auf dem linken Fuß erwischt. Mir ist ein wenig schummerig. Nicht wegen der Viren, wegen der Bilder und Botschaften. Wie brutal Kino sein kann, wie wissend und dicht. 1994 kam „Drei Farben: Rot“ raus, 1996 ist Kieślowski gestorben. An einem Herzinfarkt während einer Herzoperation. Das Herz, die Gefühle, sie haben das Zeug, uns in Himmel und Hölle zu bringen. Seine nächste Trilogie konnte er nicht fertigstellen, das haben andere Regisseure für ihn getan. Keine Ahnung, was daraus geworden ist. Weshalb muss einer wie Kieślowski mit 54 sterben? Ich freu mich, dass noch ein Teil übrig ist für mich: Weiß. Heb ich mir auf. Erst einmal Blau und Rot verdauen.

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