Nun sitzen wir hier also fest in unserem Leben. Ich sitze Zuhause am Küchentisch, Ostermontag ist rum und ich scrolle durch Fotos, die vor einem Jahr entstanden sind. Viveka und ich in Italien. Italy. Ups. Was für ein Wort momentan.
Da sehe ich Bilder von mir, die Viveka am Lido von mir gemacht hat. Wir waren nach Stationen in Riva del Garda und Verona in Venedig angekommen, um meinen Geburtstag zu feiern. Mit Venedig verbindet mich einiges. Ich war als Kind mit meinen Eltern dort, später auf Klassenfahrt, im Studium auch und kurz bevor Max geboren wurde. Früher war ich öfter in Wien. Irgendwie liegt mir das Alte. Ich wohne seit jeher in alten Häusern, einen Neubau könnte man mir schenken. Meine Seele will in Geschichte baden.
Auf den Bildern habe ich das Handy in der Hand und telefoniere mit meiner Mutter. Leukämie. Fast wäre sie schon einige Wochen vorher gestorben, aber im April 2019 konnte sie gerade noch Zuhause leben mit Unterstützung. Und sie konnte telefonieren, was wenig später nicht mehr möglich war. Ich konnte ihr nah sein, konnte mit ihr reden. Konnte ihren Schmerz spüren, ihre Hilflosigkeit, ihr Ausgeliefertsein.
Kurz vor Corona in Deutschland ist sie gestorben. Am 1. März 2020. 49 Tage vor meinem Geburtstag. In buddhistischen Kreisen ein Zeitraum mit Bedeutung. Wir konnten bei ihr sein. Sie ist an einem Sonntag gestorben. Wir hatten alle Zeit. Als hätte ihr protestantisches Pflichtbewusstsein darauf geachtet, den Alltag nicht zu stören.
Wir konnten sie mit allen Ehren beerdigen. Eine Beerdigung mit vielen Menschen. Auf das Händeschütteln am Grab haben wir verzichtet, um Corona keinen Platz zu geben. Eine Woche später und wir wären am Arsch gewesen. Wir hätten nichts für sie tun können. Aus der Ferne zusehen. Puh.
Mein Herz schreit. Ich denke jeden Tag an sie. Wie es ist, wenn deine Mutter tot ist? Grauenhaft. Vivekas und meine Eltern sind in den letzten acht Jahren gestorben. Wir sind seit 2012 zusammen. 4 Beerdigungen. Ciao.
Und jetzt ein Ostern, das Fest der Auferstehung ohne alle. Pella in Sydney, Max in Köln, Liv und Gil in Essen. Unsere Eltern. Ein einsames Ostern. Gut, trotzdem schön, weil ich mich belüge und sage, alles ist OK. Mit Tricks durchs Leben kommen. Nicht verzweifeln, aufrecht bleiben, hinschauen, wo das Licht ist. Und zwischendurch in die Knie gehen.
In wenigen Tagen werde ich 55 Jahre alt. Von nun an muss ich ohne Eltern sehen, dass ich klar komme. Man kann sich das nicht ausmalen und vorstellen. Es ist hart. Es ist nicht schön, es ist, wie ein Teil aus sich rausgerissen.
Meine Eltern sind mir nah. Ich spüre sie in mir, ich weiß, welchen Teil sie in mir ausmachen, was von ihnen kommt. Ich war mit meinen Eltern in Venedig. Ich wäre jetzt so gerne dort.
Mein Geburtstag 2019. Mit dem Boot rüber nach St. Giorgio Maggiore. Viveka und ich ganz allein mit dem Blick über das Wasser auf den Markusplatz. Meine Mutter hat am Morgen angerufen – wie immer. Und letztes Jahr zum letzten Mal, das hatte ich nicht vor Augen.
Nun ist es ein Jahr später. Die Welt sieht komplett anders aus. Keine Ahnung, was kommt. Irgendwann ist Corona vorbei und wir gehen irgendwie über in irgendeine Normalität.
Für mich ist seit geraumer Zeit nichts mehr normal. Ehrlich? Mir reicht es jetzt. Genug fundamentale, existenzielle Ereignisse. Ich würde gerne einfach leben. Mich schön erinnern können. Das Wetter ist so schön, die Natur erwacht, es ist Frühling in Deutschland. Mein Kopf steckt voller schöner Erinnerungen. Heute auf dem Weg durch den Wald haben Viveka und ich unsere Reise im letzen Jahr Revue passieren lassen. Das machen wir gerne. Levanto, Moneglia, immer wieder Paris, Hamburg, Dresden, Mannheim, Lissabon, Köln, Köln, Köln. Riva del Garda, Verona, Venedig. Schiermonnikoog.
Wenn wir unterwegs sind, machen wir das Hardcore. Niemals Fernsehen gucken im Hotel, in der Unterkunft. Die Zeit nutzen, da sein, laufen, schauen, einatmen. Ich bin so gerne mit Viveka unterwegs. Tage und Nächte. Nachts ganz allein mit ihr am Louvre oder an der Rialto-Brücke. Kein Schwein da. Nur wir. Schauen und sich halten und sich küssen im Alleinsein. Möchte ich wieder.
Diese Welt hat derzeit zu viel Drama. Ich hoffe, das wird wieder weniger.